Eine verhaltensökonomische Perspektive auf das Coronavirus: Kein Grund für Hamsterkäufe #VolleRegale
24.3.2020, von Ann-Kathrin Crede
In unserem ersten Beitrag haben wir uns mit #StayHome als Beitrag zu einem öffentlichen Gut beschäftigt. Im nachfolgenden Beitrag geht es um die verhaltensökonomische Betrachtung von Hamsterkäufen und wie man diesen begegnen kann. #VolleRegale
In guten Zeiten sorglos, Hamsterkäufe in der Krise
Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) empfiehlt Schweizer Haushalten für den Fall eines vorübergehenden Versorgungsengpasses einen Notvorrat an Lebensmitteln zu halten. Konkret soll eine Vorratshaltung von lagerfähigen Lebensmitteln wie Reis, Teigwaren und Konserven für 7 Tage sowie von Trinkwasser für 3 Tage (9 Liter pro Person) empfohlen. Wie eine Studie von Agroscope aus dem Jahr 2018 zeigt, lagen die Nahrungsmittel- und insbesondere die Trinkwasservorräte in grösseren Teilen der Bevölkerung unter den Empfehlungen. Zudem äusserten weniger als 20% der Befragten eine deutliche Befürchtung, dass ein solches Krisenereignis in der Schweiz eintreten könnte.
Während sich die Menschen in normalen Zeiten zurückhaltend zeigen, den Empfehlungen des BWL zur Vorratshaltung nachzukommen, lässt sich in der derzeitigen Krise ein anderes Extrem beobachten: Hamsterkäufe. Im Supermarkt und in den Medien hat man in den vergangenen Tagen eindrückliche Bilder gesehen: Leere Regale, volle Einkaufswagen, Streit um die letzte Packung Toilettenpapier. Politik und Wirtschaft haben reagiert, indem sie über die Sicherstellung der Inlandproduktion und des Imports von Gütern des täglichen Lebens informiert haben. Sie haben die Bevölkerung explizit aufgerufen, von Einkäufen abzusehen, die über die übliche Vorratshaltung hinausgehen. Wiederum haben manche Supermärkte Mengenbegrenzungen pro Kunde festgelegt und an die Solidarität mit anderen Kunden appelliert.
Imitationsverhalten und Herdentrieb
Unter der Annahme, dass Menschen den Informationen über eine sichergestellte Versorgung vertrauen und regelmässig einkaufen gehen können, gibt es aus rationaler Sicht keinen Grund, Hamsterkäufe zu tätigen. Weshalb tun es die Leute trotzdem? Die Verhaltensökonomik kann Erklärungsansätze liefern.
Ein mögliches Motiv ist sogenanntes Imitationsverhalten (Apesteguia et al. 2007): Dieses ermöglicht Menschen in komplexen oder neuen Situationen vereinfachend eine Entscheidung zu treffen, anstatt eine eigenständige Analyse des Entscheidungsproblems vorzunehmen. Die Daumenregel oder sogenannte Heuristik lautet in diesem Fall das zu tun, was andere bereits getan haben. So kann es sein, dass ein Kunde das Verhalten eines anderen Kunden imitiert und folglich auch Hamsterkäufe tätigt, wenn er diesen dabei beobachtet.
Eng damit verbunden ist das Herdenverhalten (Scharfstein, Stein 1990): Dieses beschreibt das Phänomen, den Entscheidungen anderer zu folgen, auch unter der Annahme, dass sich diese wohl nicht alle täuschen können. So kommen viele Menschen zum Ergebnis, dass es sich um ein gutes Restaurant handeln muss, wenn es rege besucht ist, und wählen dieses ebenfalls aus. Bezogen auf das Supermarkt-Szenario bedeutet dies, dass ein Kunde Hamsterkäufe tätigt, weil er einer Herde folgt, von der er annimmt, dass diese sich wohlüberlegt verhält. Während diese Daumenregel in vielen Situationen durchaus zu guten Entscheidungen führen kann, besteht aber auch die Möglichkeit, dass sich der Erste in einer Herde täuscht (der Mensch handelt bekanntlich nicht immer rational) und somit ein falsches Signal aussendet. Herdenverhalten bei Investitionsentscheidungen in Finanzmärkten hat dies gezeigt.
Was kann man gegen Hamsterkäufe tun?
Ein wichtiger Beitrag sind zuverlässige und transparente Informationen zur tatsächlichen Versorgungssituation. So hat beispielsweise das BWL zur aktuellen Situation informiert und herausgestrichen, dass auch in der derzeitigen Krise die Inlandproduktion sowie der Import von Gütern des täglichen Lebens sichergestellt ist. Darüber hinaus hat das BWL eine lange Liste mit Antworten auf FAQs veröffentlicht, um falschen Informationen und unbegründeten Befürchtungen zu Nahrungsmittelknappheit und Rationierungen zu begegnen. Auch Handelsverbände haben jüngst immer wieder deutlich gemacht, dass die Warenversorgung sichergestellt ist, es teilweise einfach nur Zeit brauche, die Regale wieder aufzufüllen. Ein weiterer Beitrag kann darin bestehen, an das Gemeinwohl aller zu erinnern und an soziale Präferenzen zu appellieren. So haben manche Supermärkte bei der Rationierung von einer Packung Toilettenpapier pro Kunde um Verständnis und Solidarität mit Mitmenschen gebeten. Schliesslich können auch hier die Medien einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie nicht vermehrt von leeren Regalen berichten, sondern von den gefüllten Verteilzentren und Sonderschichten der Logistikmitarbeiter. Es mag gerade eine Ausnahmesituation sein, ein Grund für eine #toiletpapercrisis besteht aber sicherlich nicht.
Quellen:
Apesteguia, J., Huck, S., & Oechssler, J. (2007). Imitation—theory and experimental evidence. Journal of Economic Theory, 136(1), 217-235.
Scharfstein, D. S., & Stein, J. C. (1990). Herd behavior and investment. The American Economic Review, 80(3), 465-479.
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