Screening nach Submissionsabreden im Strassen- und Tiefbau
Das Tiefbauamt des Kantons Bern screent seit Mitte 2020 Beschaffungen von Baumeisterleistungen im offenen Verfahren nach Hinweisen auf mögliche Submissionsabreden. Über ein Software-basiertes Screening-Tool werden Angebote auf Auffälligkeiten bezüglich ihrer Höhe, Ausgestaltung, Verteilung und Anzahl hin untersucht. Scheinen normale wettbewerbliche Bedingungen unwahrscheinlich, werden weitere Abklärungen getroffen und Massnahmen ergriffen, bis zu einer Anzeige bei der Wettbewerbskommission. Damit setzt das Amt ein klares Zeichen gegen Kartelle im Bauwesen und für einen effizienten Umgang mit Steuergeldern. Swiss Economics unterstützte das Amt bei der Entwicklung und Einführung des Screening Tools.
03.03.2021, von Tobias Binz, Christian Jaag, Stefan Studer
Expertisefelder WettbewerbsökonomikSubmissionsabreden sind illegale Absprachen zwischen Anbietern von Bauleistungen mit dem Ziel, den Wettbewerb in Beschaffungsverfahren zu unterlaufen und so Preise (bzw. Leistungsumfang oder andere Kostenelemente) hoch (bzw. tief) zu halten. Submissionsabreden für Ausschreibungen der öffentlichen Hand können somit Steuerzahler direkt über eine zu teure Leistungserbringung schädigen. Ausserdem wirken Submissionsabreden strukturerhaltend und innovationsmindernd, was negative Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft hat.
Die Wettbewerbskommission (WEKO) machte aus diesem Grund den Kampf gegen Submissionsabreden in der Baubranche bereits 2008 zu einem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Über ein Dutzend Verfahren hat die WEKO seither bereits durchgeführt und mit teils drastischen Bussen für Kartellmitglieder abgeschlossen. Medienwirksame Entscheide wie die jüngsten Bündner Fälle haben sicher dazu beigetragen, dass ein Ruck durch die Branche ging und wettbewerbsschädigende Abreden nicht mehr als Kavaliersdelikte angesehen werden. Dennoch bleibt das Schadenspotenzial aus Abreden hoch, weshalb sich immer mehr Bauherren über präventive Massnahmen zu schützen versuchen.
Tiefbauamt des Kantons Bern im Fokus der Öffentlichkeit
Das Tiefbauamt des Kantons Bern ist als grosser öffentlicher Bauherr im Fokus der Öffentlichkeit und hat auch eine Vorbildfunktion gegenüber den Gemeinden. Das Beschaffungsvolumen ist gross. Für den baulichen Unterhalt und Ausbau des 2'104 Kilometer umfassenden Kantonsstrassennetz beschafft das Tiefbauamt des Kantons Bern jährlich Bauleistungen in der Höhe von rund 100 Millionen Franken. Ein Grossteil dieser Baumeisterleistungen wird über Einladungsverfahren oder öffentliche Ausschreibungen beschafft. Submissionsabreden im Tiefbau verursachen somit der öffentlichen Hand potenziell substanzielle finanzielle Schäden, wovon nicht zuletzt kürzliche Entscheide der WEKO in den Kantonen Graubünden und Bern zeugen.
Systematisches Screening nach auffälligen Mustern
Mitte 2020 führte das Tiefbauamt Bern ein Screening-Tool ein, das jede der 50 bis 100 Ausschreibungen von Baumeisterleistungen im offenen Verfahren pro Jahr auf Hinweise nach Submissionsabreden hin prüft. Die Software wurde in enger Zusammenarbeit zwischen dem Tiefbauamt und Swiss Economics entwickelt.
Nach der Offerte Öffnung führt der verantwortliche Projektleiter in Zusammenarbeit mit einer Stabstelle das Screening der eingegangenen Angebote durch. Die Arbeitsschritte für den Import bzw. die Eingabe von Informationen zur Ausschreibung und spezifischen Daten zu den einzelnen Offerten dauert nur wenige Minuten. Nach erfolgter Eingabe untersucht das Tool, ob sich Auffälligkeiten feststellen lassen und gibt das Ergebnis als Wert auf einer Skala von «1 – gar nicht auffällig» bis «10 – sehr auffällig» aus. Ein hoher Wert bedeutet nicht zwingend, dass eine Submissionsabrede vorliegt. Allerdings entspricht Höhe, Ausgestaltung, Verteilung und Anzahl der eingegangenen Offerten einem Muster, welches man bei einer Abrede erwarten würde. Häufen sich in einer bestimmten Region oder für bestimmte Projekte die auffälligen Ergebnisse, müssen weitere Abklärungen zeigen, ob besondere wettbewerbliche Verhältnisse oder eine Abrede für die beobachteten Muster verantwortlich ist.
Statistische Marker erfassen Auffälligkeiten
Das Tool macht sich zunutze, dass ökonomische Theorie und internationale Erfahrungen gewisse Voraussagen zu Unterschieden zwischen der Ausgestaltung von Offerten im Wettbewerb und unter eine Abrede zulassen. Je nach Funktionsweise und Ausprägung des Kartells sollten gewisse Muster in Bezug auf Höhe, Verteilung, und Anzahl eingegangener Angebote erkennbar sein. In vielen Submissionskartellen werden beispielsweise Stützofferten zur Tarnung eingereicht. Diese sind so unattraktiv gestaltet, dass sie den Zuschlag für ein vorab bestimmtes Kartellmitglied nicht gefährden. Sie unterscheiden sich entsprechend von kompetitiven Offerten. Andere Arten von Abreden, sogenannte Rotationskartelle, zeichnen sich durch bestimmte Regelmässigkeiten bei der Zuschlagserteilung aus. Gebietskartelle, als wiederum eine andere Form der Abrede, fallen durch eine relativ fixe örtliche Zuteilung von Aufträgen an bestimmte Kartellmitglieder auf.
Diese und weitere mögliche Merkmale von Submissionsabreden werden anhand von sogenannten Markern erfasst. Dabei handelt es sich um mathematische Kennzahlen, die auffällige Muster erfassen und nach Schweregrad ordnen können. Anhand statistischer Analyse wird die Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit von beobachteten Werten eingeschätzt. Die untersuchten Offertdaten sowie die Ergebnisse des Screenings werden in einer Datenbank gespeichert, was Auswertungen über bestimmte Zeiträume ermöglicht. Um möglichst belastbare Aussagen treffen zu können, wurde die zugrundeliegende Datenbasis mit Daten aus Tiefbauämtern anderer Kantone und Gemeinden angereichert.
Doppelte Prävention durch Entdecken und Abschrecken
Das Tiefbauamt des Kantons Bern erhofft sich einen zweifachen Effekt des Screening Prozess. Zum einen sollen Submissionsabreden als solche erkannt werden, bevor es zur Vergabe des Auftrags kommt. Zum anderen soll das Screening aber insbesondere auch eine abschreckende Wirkung erzielen. Das Signal an den Markt ist klar: Wettbewerbsbehindernde Abreden werden vom Tiefbauamt des Kantons Bern nicht toleriert und aktiv bekämpft.
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