Hoffen auf fremde Richter im Fall Google
Ausländische Verfahren deuten darauf hin, dass Google seine starke Marktstellung in der Werbevermittlung nicht nur überragender Technologie und Innovation verdankt. Weshalb dies auch für die Schweiz von Relevanz ist.
15.12.2021, von Michael Funk, Matteo Mattmann
Expertisefelder Regulierung, Wettbewerbsökonomik, Digitale Märkte und MedienSeit Jahren hört man die Beschwerden der Schweizer Verleger und Werbetreibenden über die Übermacht der grossen ausländischen Onlineplattformen. Ihr stärkstes Argument: Fast die Hälfte des gesamten Werbeumsatzes und mehr als 70% der Online-Werbeumsätze fliessen heute ins Ausland. Der grösste Teil davon geht an Google.
Wie hat Google das geschafft?
Etwa dank überragender Technologie und Innovationskraft? Anfangs ja, seit geraumer Zeit hat sich das Unternehmen aber offensichtlich auch anderweitig zu helfen gewusst, wie Dokumente ausländischer Wettbewerbsbehörden aufzeigen. So werfen diese Google einen Marktmachtmissbrauch vor, um die Wertschöpfungskette im Bereich der Online-Werbung unter Kontrolle zu bringen. Danach soll die Firma u.a. durch Insiderhandel verhindert haben, dass Verleger alternative, nicht von Google kontrollierte Technologien nutzen. Aktuell ist zudem in den USA ein Verfahren wegen einer klassischen Kartellabsprache gegen die beiden grössten Marktteilnehmer Google und Facebook hängig.
Betrifft das die Schweiz?
Da Google weltweit dieselben Technologien und Dienste anbietet, ist dies sehr wahrscheinlich. Die oben beschriebenen Vorwürfe sind folglich auch für die Schweiz relevant.
Die Schweizer Medien- und Wettbewerbspolitik gleicht jedenfalls seit Jahren einem Rückzugsgefecht gegen die Dominanz der grossen Onlineplattformen. Im neuen Mediengesetz sind beispielsweise jährlich CHF 30 Millionen für die Unterstützung der Online-Medien vorgesehen, was im Parlament mit explizitem Verweis auf die abgewanderten Werbeumsätze verabschiedet wurde. Zudem mussten im Online-Bereich viele Fusionen von der WEKO mit dem Verweis auf die potentielle Konkurrenz der grossen Plattformen genehmigt werden. Es entstanden hochkonzentrierte nationale Medien- und Online-Märkte, was aus wettbewerbsökonomischer Sicht zu problematisch ist.
Wohin genau sind die Werbegelder geflossen?
Ein Teil der Werbegelder wanderte auf die eigentlichen Plattformen ab, wurde also für Werbung in Google-Suchresultaten, in Youtube-Clips oder auf Facebook ausgegeben. Das Gros floss aber in die Werbevermittlung. Und hier spielt für Google die Musik.
Die Fälle sind hochkomplex. Vorliegend werden ein paar Kostproben aus der Klageschrift der US-Bundesstaaten gegen Google und dem Entscheid der französischen Autorité de la concurrence vorgestellt. Die Klage in den USA ist noch hängig, den Entscheid der französischen Wettbewerbsbehörde hat Google aber akzeptiert und nicht weitergezogen:
- Seit den Nullerjahren verwaltete Google die Inventare von Millionen von Werbekunden, denen das Unternehmen dank der Daten aus den Suchanfragen eine personalisierte Platzierung anbot. Google war sehr stark auf der Marktseite der Werbekunden, auf der Marktseite der Webseitenbetreiber – die den Werbekunden Werbeplätze anbieten – stand Google aber nur in der zweiten Reihe. Laut den offiziellen Dokumenten der französischen und amerikanischen Behörden begann Google nach der Übernahme von DoubleClick, dem führenden Anbieter von Diensten für die Verwaltung von Online-Werbeflächen, seine starke Marktstellung in die benachbarten Märkte auszuweiten. Den Vorwürfen zufolge hat Google innert kürzester Zeit die gesamte Wertschöpfungskette der Online-Werbung monopolisiert, unter anderem durch unzulässige Praktiken, wie der Diskriminierung konkurrierender Anbieter, einer systematischen Selbstbevorzugung sowie der Bündelung von Diensten – Google verlangte schliesslich, dass alle, die über Google vermittelte Werbung schalten wollten, ihre Werbeflächen über Google verwalten und verkaufen musste.
- Laut US-Anklage wurde das «System Google» bedroht, als die Webseitenbetreiber begannen, ihrer Werbefläche selbst an den Meistbietenden zu verkaufen – das sogenannte «header bidding». «Header bidding» umging die Google-Marktplätze und war die Art von disruptiver Technologie, die in dynamischen Technologiemärkten immer beschworen wird. Gemäss der Klage der US-Bundesstaaten erwartete Google 2017, dass mit «header bidding» die Marge seiner Marktplätze am Werbeerlös von 20% auf 5% sinken könnte. Google fasste deshalb den Entschluss, «header bidding» zu verhindern.
- In Folge erlaubte Google den Webseitenbetreibern über eine neue Plattform mit dem Namen «Open Bidding» ihre Werbeflächen auf mehreren Marktplätzen gleichzeitig anzubieten, manipulierte aber die Auktionen um diese Flächen, damit Google mehrheitlich gewann – d.h. die Platzierung einer Werbung übernehmen darf. Das Google-Programm zur Bekämpfung von «header bidding» hiess Jedi, denn wie die Ritter aus Star Wars konnte Google das Marktergebnis manipulieren, ohne dass es die anderen Akteure bemerkten (ein «Mind Trick» in Star Wars-Terminologie).
- Schliesslich kündigte Facebook an, beim «header bidding» einzusteigen. Google erkannte die Bedrohung und suchte das Gespräch: Die beiden Konkurrenten vereinbarten, dass Facebook auf «header bidding» verzichtet und dafür eine feste Gewinnrate bei den Auktionen und weitere Vorteile, wie etwa exklusive Informationen und schnelleren Zugang, erhalten sollte. Die Vereinbarung erhielt den internen Namen Jedi Blue. Wieder ein «Mind Trick», diesmal aber gemeinsam mit der blauen Konkurrenz.
Gemäss dieser Anschuldigungen gelang es Google, die gesamte Verwertungskette der Online-Werbung zu monopolisieren und langfristig Monopolpreise zu verlangen. So konnte Google beispielsweise für die Nutzung seiner Marktplätze ca. 22% der Transaktionssumme berechnen, während der frühere Marktpreis 5% betrug. Für die Verwaltung und Vermittlung von Werbeflächen und Werbung konnte Google die Preise ebenfalls erhöhen. Das Endresultat ist beeindruckend: In den USA gehen je nach Art der Online-Werbung bis zu 42% jedes Werbedollars an Google.
Weshalb sinken also hierzulande die Werbeeinnahmen? Sollten auch nur die Hälfte der beschriebenen Anschuldigungen zutreffen, könnte die Antwort auch für die Schweiz sein, dass Google seine Marktmarkt missbraucht und sich mit dem grössten Konkurrenten abgesprochen hat.
Sind nationale Verfahren gefragt?
Als Antwort auf die Marktmacht, die Google auch in der Schweiz haben dürfte, subventioniert die Politik in der Schweiz in erster Linie die Geschädigten. Dabei hat der Gesetzgeber mit dem Kartellgesetz und der Möglichkeit ziviler Schadensersatzklage Instrumente vorgesehen, um gegen allfällig unzulässige Verhaltensweisen vorzugehen. Vielleicht wartet man auch auf die europäischen Wettbewerbshüter, die noch ermitteln. Nationale Wettbewerbsbehörden in Frankreich und Italien führen aber schon länger eigene Verfahren, denn nur so können die Behörden eine allfällige Monopolrente zurückholen.
Als private Kläger kämen insbesondere die Schweizer Verleger in Frage. Die hohen Anforderungen an zivile Schadensersatzklagen in der Schweiz sowie die bestehenden Abhängigkeiten von Google stellen für sie zwar Schwierigkeiten dar. Unüberbrückbar sind diese aber nicht. Das internationale Momentum bezüglich Klagen spricht dafür, die Gunst der Stunde auszunützen. Ansonsten bleibt vorerst nur die Hoffnung, dass fremde Richter das grösste Problem der Schweizer Medien- und Werbebranche lösen. Und natürlich weitere Subventionen vom Bund.