Wie können Leute (freiwillig) zur Covid-19-Impfung bewegt werden?
In früheren Blogbeiträgen haben wir uns bereits mit verschiedenen Themen zur Coronakrise und Verhaltensökonomie beschäftigt. In diesem Beitrag geht es um die Frage, wie Leute (freiwillig) zur Covid-19-Impfung bewegt werden können.
04.01.2021, Ann-Kathrin Crede
Covid-19-Impfung: Das Licht am Ende des Tunnels?
Seit fast einem Jahr nun wird unser Alltag durch die Corona-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung getroffenen Massnahmen geprägt. An einige Verhaltensregeln haben wir uns wohl mittlerweile gewöhnt, wie etwa das Maske-Tragen im Supermarkt. Mit anderen Massnahmen tun sich viele Leute schwerer, etwa mit der Einschränkung sozialer Kontakte. Schon früh in der Coronakrise war die baldige Entwicklung eines Impfstoffes der grosse Lichtblick. Zu sehr wollte man sich an diesem Lichtblick jedoch auch nicht festklammern, ist die Entwicklung eines Impfstoffes doch ein komplexer Prozess, der normalerweise 6 bis 8 Jahre dauert. Die Betonung liegt auf normalerweise, denn aufgrund der Dringlichkeit und dank Höchstleistungen von Impfstoffentwicklern und Behörden ging es beim Covid-19-Impfstoff deutlich schneller: So hat die schweizerische Zulassungsbehörde Swissmedic am 19.12.2020 den ersten Impfstoff des Herstellers Pfizer/BioNTech im ordentlichen Verfahren zugelassen. Wegen der nur in begrenzter Zahl zur Verfügung stehenden Impfdosen werden derzeit nur über 75-Jährige sowie Personen mit chronischen Krankheiten mit höchstem Risiko geimpft. Aber ist die derzeit herrschende Knappheit der Impfdosen auch die letzte Hürde auf dem Weg zur Bekämpfung der Coronakrise?
Herdenimmunität und Impfbereitschaft
Eines der Ziele der Impfung ist, Herdenimmunität zu erreichen (WDR). Das bedeutet, dass neben dem persönlichen Schutz auch das Erreichen eines kollektiven Schutzes angestrebt wird, um auch gefährdete Gruppen in der Bevölkerung zu schützen, die aus verschiedenen Gründen nicht selbst geimpft werden können (BZgA). Im Fall des Coronavirus wird davon ausgegangen, dass 60 – 70 Prozent der Bevölkerung geimpft werden müssen, um diese Herdenimmunität zu erreichen. Der Bundesrat hat immer wieder betont, dass er eine Impfpflicht ablehnt und jede und jeder Einzelne selbst entscheiden können soll, ob sie oder er sich impfen lassen möchte. Eine aktuelle Umfrage zeigt jedoch, dass die Impfbereitschaft der Schweizer Bevölkerung deutlich hinter dem Zielwert von 60 bis 70 Prozent zurückbleibt. So wird die Frage «Würden Sie sich freiwillig gegen Corona impfen lassen?» von lediglich 27 Prozent der Befragten mit «ja» und von weiteren 26 Prozent mit «eher ja» beantwortet. Im internationalen Vergleich zeigen sich grosse Unterschiede in der Impfbereitschaft (Lazarus et al. 2020, Neumann-Böhme et al. 2020). Eine grössere Impfbereitschaft als in der Schweiz lässt sich etwa in Grossbritannien (69 Prozent) oder Deutschland (57 Prozent) finden. Weniger impfwillig als die Schweizer sind etwa die Franzosen (46 Prozent) und Russen (36 Prozent) (NZZ). Die Gründe für die Impfverweigerung können vielfältiger Natur sein und beinhalten etwa die Angst vor einem neuartigen Medikament oder eine generelle Skepsis gegenüber Impfstoffen.
Können Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie helfen?
Wird an der Freiwilligkeit der Impfungen festgehalten (wozu es gute Gründe gibt, siehe hierzu Schmelz, 2021), stellt sich die Frage, wie Leute dazu motiviert werden können, sich aus eigenen Stücken impfen zu lassen. Mögliche Antworten könnten aus der Verhaltensökonomie kommen:
- In einer neuen Studie zeigt Rieger (2020), dass die Impfbereitschaft dann am stärksten gefördert werden kann, wenn der prosoziale Aspekt von Impfungen hervorgehoben und betont wird, dass der eigene Impfschutz gleichzeitig auch zum Schutz der Gemeinschaft beiträgt. In einem Experiment wurden Versuchsteilnehmenden drei verschiedene Impfstrategien präsentiert, wovon eine auf dem bereits genannten altruistischen Motiv aufbaute, wohingegen die beiden anderen Strategien ein eigennütziges Motiv verfolgten (Sterberisiko bzw. Gefahr eines schweren Verlaufs minimieren). Bei der altruistisch motivierten Strategie konnte die grösste Steigerung der Impfbereitschaft beobachtet werden. Es scheint folglich wichtig, darüber aufzuklären, dass die eigene Impfung nicht nur zum eigenen Schutz, sondern auch zum Schutz der ganzen Gesellschaft beiträgt, da bestimmte Leute nicht geimpft werden oder auch trotz Impfung weiterhin gefährdet sein können.
- Ein weiterer Anknüpfungspunkt zur Förderung der Impfnachfrage besteht in den Rahmenbedingungen, in welchen das Impfen stattfindet. In diesem Zusammenhang empfiehlt die WHO (2020), alle potentiellen Hürden abzubauen und die Impfungen so einfach wie möglich auszugestalten (die WHO spricht von «enabling environment»). Konkret geht es darum, die Impfungen an möglichst vielen, zentralen und gut erreichbaren Orten, zeitlich flexibel und effizient sowie durch geeignetes Personal anzubieten. In diesem Zusammenhang könnten gezielt Nudges wie etwa Reminder zur Erinnerung an den Impftermin oder Gamification-Elemente wie eine Impf-Auszeichnung eingesetzt werden.
- Schliesslich könnte ausgenutzt werden, dass unser Verhalten durch soziale Normen geprägt wird, d.h. dass wir uns mit anderen vergleichen und das Bedürfnis haben, im Einklang mit unserem sozialen Umfeld zu handeln. Bish et al. (2011) zeigen, dass Ermutigung oder sozialer Druck durch eine respektierte und vertrauenswürdige Person die Impfnachfrage steigern kann. Folglich könnte gezielt darüber informiert und berichtet werden, wie viele Leute sich bereits haben impfen lassen oder vorhaben, dies zu tun. Die Beobachtung, dass sich viele andere impfen lassen, kann das eigene Bedürfnis, der sozialen Norm zu entsprechen, fördern. In diesem Kontext könnte auch die Beobachtung, dass im Ausland – wie etwa in Israel – bereits flächendeckend geimpft wird, zur Impfwilligkeit beitragen.
Neben den auf reiner Freiwilligkeit basierenden Lösungsansätzen würde sicherlich auch ein Impfnachweis, dessen Besitz über den Zutritt zu einer Bar oder einem Flugzeug entscheidet, die Impfbereitschaft fördern. Ob diese Art der Diskriminierung juristisch rechtens oder moralisch akzeptabel ist, ist wiederum eine andere Frage.
Quellen:
- Bish, A., Yardley, L., Nicoll, A., & Michie, S. (2011). Factors associated with uptake of vaccination against pandemic influenza: a systematic review. Vaccine, 29(38), 6472-6484.
- Lazarus, J. V., Ratzan, S. C., Palayew, A., Gostin, L. O., Larson, H. J., Rabin, K., Kimball, S. & El-Mohandes, A. (2020). A global survey of potential acceptance of a COVID-19 vaccine. Nature Medicine, 1-4.
- Neumann-Böhme, S., Varghese, N.E., Sabat, I. et al. (2020). Once we have it, will we use it? A European survey on willingness to be vaccinated against COVID-19. European Journal Health Economics, 21, 977–982.
- Rieger, M. O. (2020). Triggering altruism increases the willingness to get vaccinated against COVID-19. Social Health and Behavior, 3(3), 78-82.
- Schmelz, K. (2021). Enforcement may crowd out voluntary support for COVID-19 policies, especially where trust in government is weak and in a liberal society. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118(1), e2016385118.
- WHO (2020), Behavioural Considerations for acceptance and uptake of Covid-19 vaccines, Technical Advisory Group on behavioural insights and sciences for health, Meeting report, 15 October 2020.