Die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf den Wettbewerb
Immer mehr Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden äussern Bedenken beim Einsatz von KI im Marktwettbewerb. Die Liste ist lang und umfasst Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich oder die Niederlande. Dementsprechend ist damit zu rechnen, dass Unternehmen, die KI einsetzen, in den kommenden Jahren immer genauer unter die Lupe genommen werden.
Doch welche Wettbewerbsnachteile können durch KI ausgelöst werden? Unser Team von Experten für digitale Märkte und KI hat das umfangreiche Feld der Auswirkungen von KI auf den Wettbewerb hier in einem einfachen Überblick für drei mögliche Marktumgebungen zusammengefasst.
07.07.2022, von Nicolas Eschenbaum, Nicolas Greber, Michael Funk
Expertisefelder Wettbewerbsökonomik, Digitale Märkte und MedienKünstliche Intelligenz wirbelt die klassische Wettbewerbspolitik auf
Der immer weiter verbreitete Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in Unternehmen hat im letzten Jahrzehnt eine lebhafte wissenschaftliche Diskussion über die Auswirkungen von Computeralgorithmen auf den Marktwettbewerb ausgelöst. So verwenden mittlerweile beispielsweise mehr als 50% der Einzelhändler in den USA Preisalgorithmen, und 67% der Unternehmen in der EU, welche ihre Konkurrenten täglich beobachten, greifen zu diesem Zweck auf Algorithmen zurück.[1]
Wettbewerbshüter und Regulierungsbehörden haben inzwischen begonnen, auf diese neue Herausforderung zu reagieren. Eine aktuelle Marktstudie zu Algorithmen der britischen Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA), ein Positionspapier zur Überwachung von Algorithmen der niederländischen Wettbewerbsbehörde oder die gemeinsame Studie über Algorithmen des deutschen Bundeskartellamts und der französischen Autorité de la Concurrence (und viele weitere Berichte) zeigen, dass sich Behörden der potenziellen Wettbewerbsbedrohungen durch KI sehr bewusst sind. Ganz oben auf der Liste der Bedenken stehen Preisabsprachen konkurrierender Unternehmen, «self-preferencing» durch plattformübergreifend integrierte Anbieter, und Preisdiskriminierung oder «predatory pricing». Im Hinblick auf mögliche Absprachen durch Algorithmen sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager bereits 2017:
“I think we need to make it very clear that companies can’t escape responsibility for collusion by hiding behind a computer algorithm.”
Die CMA hat bereits eine Zusammenfassung der Reaktionen auf ihre Marktstudie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass sich die meisten Befragten über den Ernst der Lage einig sind. Grössere Klarheit über den beabsichtigten Einsatz von KI und ein besseres technisches Verständnis deren Verhaltens wird die Bereitschaft der Behörden, Ermittlungen gegen Unternehmen durchzuführen welche KI-Systeme einsetzen, erhöhen. In den kommenden Jahren ist daher mit zunehmenden kartellrechtlichen Eingriffen und Regulierungsmassnahmen zu rechnen. Die ersten wettbewerbspolitischen Fälle, in denen Algorithmen eine wichtige Rollte spielten, haben bereits stattgefunden.[2]
Diese wettbewerbspolitischen Entwicklungen sind Teil einer breiteren Debatte über das Potenzial für Fehlverhalten, Missbrauch, oder Diskriminierung durch Algorithmen. Bisher liegt das Hauptaugenmerk jedoch auf dem Verhalten einzelner Algorithmen. Beispielsweise soll sichergestellt werden, dass der betreffende Algorithmus Regulierungen und Meldepflichten einhält oder sensible Daten nicht verwendet, und statistische Verzerrungen in den Daten mit denen der Algorithmus «trainiert» wird, werden gezielt entfernt. Im Gegensatz dazu befasst sich die Wettbewerbspolitik jedoch mit den Auswirkungen der Marktinteraktionen von Algorithmen. Data Scientists und Compliance-Officers sind sich des Potenzials für Fehlverhalten von Algorithmen in Marktinteraktionen nur unzureichend bewusst, sodass Unternehmen sich hier signifikanten Risiken aussetzen.
Interaktion von KI stellt eine Herausforderung dar
Die durch Algorithmen verursachte Beeinträchtigung des Wettbewerbs kann je nach Marktumfeld verschiedene Formen annehmen. Die folgenden Abbildungen gliedern die unterschiedlichen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz in drei Fälle. Die Herausforderungen, welche interagierende KI mit sich bringt, ergeben sich aus der Marktstruktur: horizontale Interaktion (Links), Interaktion mit Drittanbietern (Mitte), und vertikale Interaktion (Rechts).
Je nach Fall können unterschiedliche Schäden entstehen. Im horizontalen Fall können Algorithmen zu Kollusion oder (auf den Finanzmärkten) zu Herdenverhalten führen. Im Fall von Drittanbietern hingegen kann es zu "Hub-and-Spoke"-Vereinbarungen kommen. Zusätzlich entsteht die Gefahr, dass Drittanbieter die Informationen und Angebote für nachgelagerte Unternehmen manipulieren. Im vertikalen Fall ist es möglich, dass Algorithmen den Markt abschotten, die unternehmens-eigenen Dienstleistungen bevorzugen («self-preferencing»), oder vergleichbares "Gatekeeper"-Verhalten zeigen. Im Folgenden erörtern wir jeden dieser drei Fälle kurz.
Horizontale Interaktion
Bedenken hinsichtlich eines wettbewerbswidrigen Verhaltens zwischen konkurrierenden Algorithmen sind gespeist aus dem Potenzial für koordiniertes Verhalten. So können miteinander konkurrierende KIs zu "algorithmischer Kollusion" führen. Derartige Absprachen zwischen Wettbewerbern (also eine «Zusammenarbeit», welche die Einschränkung des Wettbewerbs zwischen ihnen bezweckt) sind immer dann möglich, wenn Wettbewerber wiederholt interagieren. Die wiederholte Interaktion führt dazu, dass kollusive Strategien zu einem spieltheoretischen Gleichgewicht werden. Solche Strategien bestehen im Allgemeinen aus einem "Zuckerbrot" (langfristig hohe Gewinne), um die Konkurrenten für das Festhalten an der vereinbarten Absprache zu belohnen, und einer "Peitsche" ("Preiskriege" oder generell harter Wettbewerb), um die Konkurrenten zu bestrafen, wenn sie von der Vereinbarung abweichen. Eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen hat gezeigt, dass konkurrierende KIs prinzipiell lernen können, sich im Markt auf einen Wettbewerbsverzicht zu einigen.[3] Insbesondere wird befürchtet, dass KIs selbstständig lernen könnten, sich auf ein kollusives Gleichgewicht zu einigen, ohne dass eine menschliche Kommunikation zwischen den konkurrierenden Unternehmen erforderlich ist. Dies wäre eine erhebliche Herausforderung für die derzeitige Gesetzeslage: es ist die Kommunikation und explizite Vereinbarung über Absprachen, welche illegal ist, nicht aber das daraus resultierende Verhalten auf dem Markt. Der Gebrauch von KI verwischt somit die Grenze zwischen expliziter Kollusion, die einen Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern beinhaltet, und der sogenannten stillschweigenden Kollusion, bei der kein expliziter Informationsaustausch stattfindet. In der Praxis wird es darauf ankommen, inwieweit die Programmierer oder das Unternehmen wissen konnten, dass der Algorithmus zu Absprachen führen würde, beziehungsweise dieses Verhalten gezielt förderten.
Darüber hinaus kann KI die Stabilität von Absprachen erhöhen. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt hat ein Kartellmitglied ein Interesse daran, die übrigen Mitglieder zu unterbieten. Je schneller die übrigen Mitglieder diese Abweichung im Gegenzug bestrafen können, desto weniger profitabel wird sie. Mit übermenschlich schnellen Reaktionen und permanenter Überwachung der Preise von Wettbewerbern (oder ähnlichen Informationen) könnten Algorithmen daher zu Kollusion auf Märkten führen, auf denen eine von Menschen vorgenommene Absprache bis dato als so gut wie unmöglich galt.
Eine damit verbundene Sorge auf den Finanzmärkten ist, dass Algorithmen zu Herdenverhalten führen. Flashcrashs (plötzliche Kurseinbrüche auf den Finanzmärkten, welche nur wenige Minuten andauern) hat es schon öfter gegeben. Miteinander konkurrierende Algorithmen, die mit denselben Daten trainieren oder ähnlich aufgebaut sind, können das gleiche Verhalten aufweisen. In diesem Fall dient das koordinierte Verhalten nicht dazu höhere Gewinne zu erzielen, sondern führt zu einem schädlichen Nebeneffekt.
Drittanbieter
Diese Bedenken können sich noch verschärfen, wenn ein Drittanbieter die Informationen oder den Algorithmus an konkurrierende Unternehmen weitergibt bzw. verkauft. Ein Drittanbieter ermöglicht insbesondere so genannte "Hub-and-Spoke"-Vereinbarungen, bei denen Wettbewerber den gleichen Algorithmus des gleichen Anbieters beziehen. Dies kann ein koordiniertes Marktverhalten wahrscheinlicher machen und Absprachen und Herdenbildung begünstigen. Hier fungiert der Anbieter als "Hub" und die nachgelagerten Unternehmen als "Spoke".
Das Vorhandensein eines Drittanbieters führt auch zu neuen Formen der Wettbewerbsschädigung. Insbesondere kann ein Drittanbieter die Angebotsstruktur der nachgelagerten Unternehmen manipulieren. Der Anbieter kann die bereitgestellten Informationen oder die Art und Weise, wie sie angezeigt und kommuniziert werden, gezielt auswählen. Durch die strategische Auswahl der bereitgestellten Informationen kann der Anbieter das Verhalten der Nutzer manipulieren. Dies ist besonders bedenklich, wenn es sich bei dem Drittanbieter um eine große digitale Plattform handelt, welche Dienste für viele nachgelagerte Wettbewerber anbietet, und noch mehr, wenn der Drittanbieter selbst auf dem nachgelagerten Markt tätig ist.
Damit diese Manipulationen von Bedeutung sind, muss das Unternehmen jedoch eine ausreichend grosse (beherrschende) Stellung auf dem Markt einnehmen. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz kann dazu beitragen, die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens zu stärken, da die Entwicklung von KI in der Regel erhebliche Investitionen vorab erfordert, aber nur geringe laufende Kosten oder zusätzliche Kosten anfallen, wenn neue Daten verfügbar werden oder der Algorithmus auf zusätzlichen Märkten eingesetzt wird. Infolgedessen kann KI zu erheblichen Größen- und Verbundvorteilen sowie zu starken Netzwerkeffekten führen. All dies sind wichtige Faktoren, die zu einer marktbeherrschenden Stellung führen, sodass KI eine erhebliche Marktzutrittsschranke darstellen kann.
Allerdings sind Machine-Learning-Frameworks heutzutage sehr leicht zugänglich, was den Markteintritt erleichtert, und in mehreren Branchen (z. B. FinTech) hat sich eine hochinnovative Startup-Szene entwickelt, welche sich (unter anderem) auf Innovationen bei der Nutzung von Machine-Learning-Technologien konzentriert. Eine Bewertung der Dominanz und der daraus resultierenden Bedenken erfordert daher eine Einzelfallanalyse.
Vertikale Interaktion
Die Rolle eines Drittanbieters als Vermittler wird besonders dann relevant, wenn der Vermittler vertikal integriert ist und somit mit seinen Nutzern/Käufern im nachgelagerten Bereich konkurriert. In diesem Fall kann der Vermittler gegenläufige Anreize haben. Insbesondere wenn ein vertikal integrierter Vermittler eine marktbeherrschende Stellung innehat, kann er Anreize haben, Wettbewerber auszuschließen, sich selbst zu bevorzugen und ähnliches "Gatekeeper"-Verhalten an den Tag zu legen. Die wirtschaftliche Analyse für Unternehmen, die KI in einem vertikalen und intermediären Kontext einsetzen, ist ähnlich wie die wirtschaftliche Analyse digitaler Märkte im Allgemeinen.
Eine Möglichkeit, Konkurrenten auf digitalen Märkten auszuschließen, ist das "Self-Preferencing", bei dem ein Unternehmen seine eigenen Produkte oder Dienstleistungen gegenüber denen seiner Konkurrenten bevorzugt. Dieses Verhalten wurde Google von der Europäischen Kommission vorgeworfen.[4] Auch gegen Amazon wird aus diesen Gründen ermittelt.[5] Die wirtschaftliche Logik dieser Fälle lässt sich auf Unternehmen anwenden, die einen lernenden Algorithmus einsetzen. Einfach ausgedrückt: Es muss sichergestellt werden, dass ein eingesetzter Algorithmus kein «self-preferencing» an den Tag legt.
Schließlich kann die Marktabschottung auch in einem horizontalen und nicht in einem vertikalen Kontext auftreten. KI kann potenziell perfekt auf Angebote für bestimmte Käufer oder Käufersegmente ausgerichtet sein. Dies kann dazu führen, dass Käufer, die mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem Produkt oder einer Dienstleistung eines Wettbewerbers wechseln würden, mit attraktiveren Angeboten angesprochen werden. Sollte sich herausstellen, dass es sich bei dem Unternehmen, das dieses Verhalten an den Tag legt, um einen marktbeherrschenden Akteur handelt, würde dies eine horizontale Marktabschottung darstellen. Wenn dieses aggressive Vorgehen auf die Spitze getrieben wird, kann es zu einem so genannten «Predatory Pricing» führen, bei dem das marktbeherrschende Unternehmen einen kurzfristigen Verlust erleidet, um seinen Konkurrenten auszuschalten.
Zusammenfassung
Der zunehmend verbreitete Einsatz von künstlicher Intelligenz wirft zahlreiche wettbewerbspolitische Bedenken auf, die von den Behörden geprüft und untersucht werden. In der Praxis sind sich Unternehmen des Risikos für wettbewerbswidriges Verhalten ihrer Algorithmen jedoch weitgehend noch nicht bewusst.
Dieser Blogbeitrag gibt einen ersten Einblick in das umfassende Thema über die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf den Wettbewerb. Wir haben die verschiedenen Arten von Marktinteraktionen, durch die künstliche Intelligenz den Wettbewerb beeinflussen kann, und die damit verbundenen Bedenken dargelegt. Unseres Erachtens muss das Zusammenspiel der KI mit anderen Marktteilnehmern Teil der «Responsible AI» werden. Allerdings zeigen die je nach Marktstruktur unterschiedliche Formen von wettbewerbswidrigem Verhalten, dass ein pauschaler Ansatz nicht möglich sein wird. Stattdessen wird die praktische Bewertung einzelner Algorithmen von deren Struktur, deren Leistung und Verhalten sowie von der Wettbewerbslandschaft und der Branche abhängen. Zusätzliche Aspekte kommen ins Spiel, wenn die Algorithmen von einem Lieferanten bezogen wird.
Um den Anwendern eine Orientierungshilfe zu geben, sind detaillierte Kenntnisse der Branche und der Verwendung der Algorithmen erforderlich. Auf der Grundlage einer genauen Studie kann eine Bewertungsmethode für die Einhaltung der Vorschriften entwickelt werden.
Quellen:
[1] Professor Michal Gal, Direktor des Center for Law and Technology an der Juristischen Fakultät der Universität Haifa, Israel. Bemerkungen an der First Annual Conference on Computational Antitrust des Stanford Center for Legal Informatics, 2021.
[2] Beispielsweise der “Eturas” Fall in Litauen in 2017 oder der “Idealista” Fall in Spanien in 2021.
[3] Siehe zum Beispiel Eschenbaum et al. (2021)
[4] Im 2017 abgeschlossenen Fall "Google Shopping" verhängte die Europäische Kommission eine Rekordstrafe von 2,42 Milliarden Euro. Das Gericht der Europäischen Union bestätigte die Entscheidung im Jahr 2021.
[5] Die Europäische Kommission hat eine Untersuchung über die Vorzugsbehandlung von Amazons eigenen Angeboten im Jahr 2020 eingeleitet.
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