Was du heute kannst besorgen ... Steuererklärung und Prokrastinationsverhalten
Wir alle schieben Dinge vor uns her: Eine verhaltensökonomische Perspektive auf das Thema Prokrastinationsverhalten.
31.03.2021, Ann-Kathrin Crede
Mal wieder ist – wie jedes Jahr – die Steuererklärung fällig. Obwohl diese Frist für die meisten wohl keine Überraschung sein sollte, geraten viele Leute in eine Stresssituation, weil sie die oftmals als lästig empfundene Aufgabe vor sich herschieben, frei nach dem Motto: «Was du heute kannst besorgen, das erledige doch morgen.» Dieses als Prokrastination bezeichnete Verhalten wird auch von der Verhaltensökonomie erforscht.
«Jeder Dritte verpasst die Abgabefrist»
Prokrastination - die Tendenz, anstehende bzw. geplante Aufgaben oder Tätigkeiten aufzuschieben - ist allgegenwärtig; wir alle kennen Situationen, in denen wir prokrastinieren. Bei der Steuererklärung scheint dies besonders ausgeprägt zu sein. So hat eine Studie von Comparis gezeigt, dass mehr als ein Drittel der Befragten seine Steuererklärung nicht zum offiziellen Abgabetermin abgibt, wobei hiervon ein Drittel keine Fristerstreckung ersucht hat. Auch in anderen Bereichen hat das Aufschieben von geplanten Handlungen ein grosses Gewicht: in der akademischen Welt (Solomon et al. 1984), bei gesundheitsrelevanten Tätigkeiten (Sirois et al. 2003), in der Arbeitswelt (Gupta et al. 2012) oder beim ins Bett gehen (Kroese et al. 2016).
Prokrastinationsverhalten korreliert überwiegend mit negativen Konsequenzen: Leute, die prokrastinieren, erbringen schlechtere Leistungen (Steel et al. 2001), empfinden häufiger Angst, Frust und Stress (Wolters 2003) und sparen weniger für ihre Rente (Akerlof 1991). Auch die Betroffenen selbst schätzen das Verhalten als schlecht oder schädlich ein, und die allermeisten möchten dieses Verhalten gerne ändern (O’Brien 2002).
Erklärungsansätze für Prokrastinationsverhalten
Warum prokrastinieren Menschen überhaupt? Aus ökonomischer Perspektive lässt sich Prokrastinationsverhalten damit erklären, dass Menschen Zeit-inkonsistente Präferenzen und eine besondere Vorliebe für die Gegenwart haben. Doch Menschen unterscheiden sich in ihrer Neigung, Dinge aufzuschieben. In einer Meta-Analyse hat Steel (2007) mögliche Erklärungsgründe untersucht und zusammengetragen. Beispiele für Faktoren mit hoher Erklärungskraft sind:
- «Task aversiveness»: Als je unangenehmer eine Handlung wahrgenommen wird, desto eher wird sie aufgeschoben. In dieser Wahrnehmung unterscheiden sich Leute, was unterschiedliches Prokrastinationsverhalten erklären kann.
- «Self-efficacy»: Mangelnde Selbstwirksamkeit bzw. ein geringes Selbstvertrauen geht mit erhöhtem Prokrastinationsverhalten einher.
- «Impulsiveness»: Impulsivität bzw. eine starke Gewichtung des Moments im Vergleich zur Zukunft korreliert mit der Neigung, Dinge aufzuschieben.
- «Self-control»: Über je weniger Selbstkontrolle oder Selbstdisziplin eine Person verfügt, desto eher schiebt sie eine geplante Aufgabe auf.
- «Distractability»: Je empfänglicher eine Person für Ablenkungen ist, desto eher prokrastiniert sie.
- «Achievement motivation»: Menschen, die eine hohe Leistungsmotivation haben, d.h. als wichtig erachtete Aufgaben mit Ausdauer zum Abschluss bringen, prokrastinieren weniger als Leute mit niedriger Leistungsmotivation.
- Alter: Prokrastination nimmt mit zunehmendem Alter ab.
- Geschlecht: Es gibt Hinweise, dass Männer leicht mehr prokrastinieren als Frauen.
Was du heute kannst besorgen …
… das verschiebe (besser) nicht auf morgen. Es gibt zahlreiche Strategien, mit denen Prokrastinationsverhalten begegnet werden kann. Etwa indem man sich freiwillig kostspielige Restriktionen auferlegt (Trope & Fishbach 2000), sich zeitlich optimale Deadlines setzt (Ariely & Wertenbroch 2002), die Willenskraft stärkt (Hoch & Loewenstein 1991) oder Emotionen besser reguliert (Johanson 2021). Bis zur nächsten Steuererklärung bleibt nun einige Zeit, diese Strategien zu erproben. Und im Notfall bleibt zumindest die Fristerstreckung.
Quellen:
- Akerlof, G. A. (1991). Procrastination and obedience. The American Economic Review, 81(2), 1-19.
- Ariely, D., & Wertenbroch, K. (2002). Procrastination, deadlines, and performance: Self-control by precommitment. Psychological Science, 13(3), 219-224.
- Gupta, R., Hershey, D. A., & Gaur, J. (2012). Time perspective and procrastination in the workplace: An empirical investigation. Current Psychology, 31(2), 195-211.
- Hoch, S. J., & Loewenstein, G. F. (1991). Time-inconsistent preferences and consumer self-control. Journal of Consumer Research, 17(4), 492-507.
- Johanson, M. (2021) https://www.bbc.com/worklife/article/20210310-why-we-procrastinate-on-the-tiniest-of-tasks [31.03.2021].
- Kroese, F. M., Nauts, S., Kamphorst, B. A., Anderson, J. H., & de Ridder, D. T. (2016). Bedtime procrastination: a behavioral perspective on sleep insufficiency. In Procrastination, health, and well-being (pp. 93-119). Academic Press.
- O'Brien, W. K. (2002). Applying the transtheoretical model to academic procrastination (Doctoral dissertation, ProQuest Information & Learning).
- Sirois, F. M., Melia-Gordon, M. L., & Pychyl, T. A. (2003). “I'll look after my health, later”: An investigation of procrastination and health. Personality and Individual Differences, 35(5), 1167-1184.
- Solomon, L. J., & Rothblum, E. D. (1984). Academic procrastination: Frequency and cognitive-behavioral correlates. Journal of Counseling Psychology, 31(4), 503.
- Steel, P. (2007). The nature of procrastination: a meta-analytic and theoretical review of quintessential self-regulatory failure. Psychological Bulletin, 133(1), 65-94.
- Steel, P., Brothen, T., & Wambach, C. (2001). Procrastination and personality, performance, and mood. Personality and Individual Differences, 30(1), 95-106.
- Trope, Y., & Fishbach, A. (2000). Counteractive self-control in overcoming temptation. Journal of Personality and Social Psychology, 79(4), 493.
- Wolters, C. A. (2003). Understanding procrastination from a self-regulated learning perspective. Journal of Educational Psychology, 95(1), 179.
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